Nach stressreichen und belastenden Wochen war eine Auszeit nötig. Schweden bietet Natur, Ruhe und jede Menge Erkenntnisse. Nicht nur für den heutigen internationalen Tag der älteren Menschen. In Deutschland ist der zugleich zum vierten Mal der „Tag der Seniorenernährung“.
Die Urlaubshauptsaison geht auch im herbstlichen Schweden zu Ende. Die Ostseefähren sind halb leer und werden deshalb ab und zu kurzfristig umgebucht. Pippi Langstrumpfs Welt ist geschlossen. Elchparks und einige Museen haben verkürzte Öffnungszeiten. Aber die Natur hat 24/7 geöffnet. Angler stehen stundenlang in ihren Booten und halten meditativ ihre Ruten ins Wasser. Unerschrockene baden sogar noch in einem der zahlreichen Seen. In den Wäldern begegnet man selten Wandernden.
Der Campingplatz als sozialer örtlicher Treffpunkt
Auf dem Ganzjahres-Campingplatz haben sich nur wenige Gäste eingemietet. Das Restaurant öffnet werktags trotzdem – drei Stunden über die Mittagszeit. Es wird ein Menü als Büfett zur Selbstbedienung angeboten. Ein Hauptgericht, Salat, ein alkoholfreies Getränk, ein Kaffee, ein Stück Kuchen. Eine vegetarische Variante bringt der Koch persönlich an den Tisch. Das Essen ist sehr gut. Die Preise sind moderat. Senioren bezahlen 20 Kronen weniger als Erwachsene. Das Camping-Restaurant fungiert als Ortskantine. Handwerker, Feuerwehrleute, kommunale Angestellte treffen auf Urlaubende, Jugendliche, Familien mit Kleinkindern und viele einheimische Ruheständler. Manche laufen – bei schwedischen Distanzen eine beachtliche sportliche Leistung. Andere kommen mit dem E-Scooter oder mit dem Auto. Eine Gruppe hat sich verabredet und feiert den Geburtstag einer Seniorin. Andere setzen sich an lange Tafeln und sprechen miteinander. Mangelernährung muss für diese betagten Menschen nicht befürchtet werden. Sie essen gern und gut, holen Nachschlag. Vor allem Salat. Nicht wenige zelebrieren ihre Mahlzeit über die gesamte Öffnungszeit des Restaurants. Sie unterhalten sich. Einsam sind sie nicht. Das Personal freut sich über die Auslastung und die Lebensfreude der Menschen.
Niemand raucht
Dass Alkohol in Skandinavien teuer ist, war bekannt. Menschen mit Ballermann-Phantasien zieht es deshalb – glücklicherweise – weniger in den Norden. Dass so gut wie nicht geraucht wird, ist angenehm ungewohnt. Es ist einfach nicht „in“. Dabei scheint Schweden weniger auf Verbote zu setzen, als vielmehr Anreize zu reduzieren. An den Supermarktkassen sind Zigaretten nicht sichtbar präsentiert, sondern müssen verlangt werden. Daraufhin fährt beispielsweise ein kleines Regal wie eine Leinwand von der Decke, die gewünschten Schachteln werden entnommen und das Regal verschwindet wieder. Bezahlt wird fast nirgendwo mit Bargeld. Viele Dienstleistungen können digital erledigt werden.
Kinder werden immer mitgedacht
Ob Tankstelle, Museum oder Einkaufsmarkt: Kinder sind in Schweden kein Anhängsel, sondern eine erwünschte Bereicherung. Überall gibt es Spiel- und Beschäftigungsecken, zum Teil sogar mit Betreuungspersonal. Toiletten zeigen nicht nur Baby wickelnde Frauen als orientierendes Piktogramm, sondern auch wickelnde Männer.
Zahlreiche Persönlichkeiten beeinflussten die schwedische Sicht auf eine gesunde Entwicklung von Kindern. „Jedes Kind sollte Spaß haben und keine Angst haben müssen“, forderte zum Beispiel die nicht unumstrittene Reformpädagogin Ellen Key (1849 – 1926).
Von der Soziologin Alva Myrdal (1902 – 1986) stammt die 1932 lancierte Idee eines „Großkindergartens“. Dort sollten Kinder betreut werden, während beide Elternteile arbeiten.
Wer glaubt, dass „aufs Töpfchen gehen“ eine DDR-typische Erfindung war, schaue sich historische Fotos aus Schweden an … Ein 2021 auf Deutsch veröffentlichtes Buch über das Sauberwerden des schwedischen Autorenpaares Michael und Sofia Bergenstjerna bewegt auch heute viele Eltern.
Schlechtes Wetter gibt es nicht, aber falsche Schuhe
Das Leben mit der Natur über die Jahreszeiten bringt Erfahrungen mit sich, die die meisten Stadtmenschen nicht haben. Wenn Dir ein Schwede sagt, ziehe festes Schuhwerk, noch besser (Gummi-)Stiefel, an, solltest Du als Deutsche*r unbedingt darauf hören. Tust Du es nicht, merkst Du schnell, dass Laufen im Moor in Sneakern keine gute Idee ist.
Alle Wege sind weit
Ein so großes Land wie Schweden lehrt uns, dass wir nicht gut beraten sind, in den Tag hineinzuleben. Nicht nur die Distanzen in den Gebieten außerhalb der Metropolen erfordern Planung. Alle Wege sind weit. Wer etwas (Bestimmtes) erleben will, muss fahren und Zeit einkalkulieren. Trotzdem wird nicht gerast. Auf Landstraßen darf man maximal 90 km/h fahren, auf der Autobahn 110 km/h. Die Straßen sind gepflegt und gut ausgeschildert. An den Ortseingängen informieren Tafeln über die jeweilige Gemeinde oder die Gegend. An Rastplätzen können saubere Toiletten kostenfrei genutzt werden.
Wer lesen kann …
Auch wenn Schwedisch und Deutsch verwandte Sprachen sind, ist Schwedisch nicht automatisch vollkommen verständlich. Englisch hilft oft weiter, aber Grundbegriffe, insbesondere Verbotsschilder, sollte man kennen. Schwedische Menschen sind in der Regel freundlich, achtsam und hilfsbereit – wenn wir ihnen respektvoll begegnen. Frieden, so mein Eindruck, beginnt im Kleinen. Und täglich.
Fotos: Dagmar Möbius