In den letzten Monaten war viel Pendeln angesagt. Ich verbrachte mehr Zeit mit Care-Arbeit und in Kliniken. Wie kostbar das Leben ist, hat sich – wie schon unzählige Male – bestätigt. Und dass der Tod immer zu früh kommt.
Lyra auf der Palliativstation
Als jemand, der oft den Finger in die Wunden des Gesundheitssystems legt, durfte ich erleben, wie engagiert und würdevoll trotz vieler Probleme gearbeitet wird. Insbesondere dort, wo Patient*innen nicht mehr lange zu leben haben, ist es wohltuend, sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren zu können. Am meisten berührt hat mich der Besuch einer Musiktherapeutin auf der Palliativstation. Ein Kostenpunkt, den sich im krank gekürzten System ein konfessionelles Krankenhaus leistet – und aus Spenden bezahlt. Lyra spielend und singend zauberte sie meiner im Sterben liegenden, an der Morphinpumpe liegenden und nicht mehr ansprechbaren Mutter ein Lächeln aufs Gesicht. Ich bin dankbar dafür. Nach relativ kurzem Leiden wurde sie erlöst. Was danach zu tun ist, weiß jeder, der Eltern der letzten Kriegsgeneration hat.
Reden oder Schweigen?
Mit Trauer gehen die Menschen unterschiedlich um. Das ist okay. Was vielerorts nicht okay ist, ist der Umgang mit Trauernden. Glücklicherweise spreche ich hier nicht von mir. Aber die meisten Menschen sind unsicher, wenn in ihrem Umfeld jemand stirbt. Sie meiden die Hinterbliebenen, weil sie nicht wissen, was sie sagen sollen. Fragen hilft. „Was brauchst Du jetzt?“ „Willst Du reden oder hast Du lieber Ruhe?“ Einfach da sein. Organisatorische Dinge abnehmen. Wortlosigkeit oder emotionale Ausbrüche aushalten. Wenn nötig und gewünscht, Hilfe und/oder Kontakt zu einer Trauergruppe organisieren, um Einsamkeit zu vermeiden. Sprüche wie „Es muss weitergehen“ helfen Trauernden wenig.
Es geht weiter
Bei mir muss es also nicht weitergehen, es geht nach einer kreativen Phase weiter. Meine erfolgreich bestandene Bachelor-Arbeit, auf der mein Fokus des letzten halben Jahres lag, konnte ich wegen der Ereignisse zwar nicht feiern. Aber es gab und gibt gerade jetzt viele schöne Momente. Denn das Interesse an meinem Forschungsthema, bekanntlich eine absolute Nische, nimmt zu. Viele Personen melden sich bei mir, drücken ihre Wertschätzung aus und bekunden Solidarität. Längst nicht nur Angehörige von Gesundheitsberufen. Das freut mich sehr und ich versuche, allen zeitnah zu antworten. An der Thematik arbeite ich natürlich weiter.
Veröffentlichungen und ein neues Projekt
Zwischenzeitlich erschienen mehrere Beiträge, an denen ich seit dem Frühjahr gearbeitet hatte. Die Ausgabe 2 des Aluminimagazins der TU Dresden mit spannenden Porträts, eine Interview-Serie über Zickenkrieg, Teamkonflikte und „Cheffing“ für den MEDI-Verbund, diverse Blogbeiträge sowie ein Artikel in der Berliner Zeitung über mein Forschungsthema – Überschrift: „Pflegenotstand: Würde eine späte Anerkennung der DDR-Fachkräfte helfen?“.
Mein neues Projekt war Anfang Juli gerade gestartet, als ich es wegen oben erwähnter Gründe erst einmal nicht intensiv voranbringen konnte. Aber jetzt nimmt die Website „Was Cannabis kann“ langsam Fahrt auf. Es ist ein Versuch, bei dem ich auch mit KI experimentiere. Mein Ziel ist jedoch nicht, das Kiffen salonfähig zu machen, sondern verschollenes, fundiertes Wissen über die älteste Nutzpflanze der Welt zu veröffentlichen. Insbesondere medizinische Anwendungen sind mein Fokus. Ein kleiner Selbsterfahrungsanteil in Kooperation mit Herr Direktor ist enthalten. Fun fact: ich habe noch nie gekifft und plane das auch nicht.
BücherLust und ein Skelett
Nachdem ich in den letzten zwei Monaten alle Auswärtstermine absagen musste, besuchte ich erstmals die BücherLust in Berlin-Karlshorst. Die Bücherantiquariatsmesse findet einmal jährlich statt, die Trödel- und Antikmessen mehrmals im Jahr. Als Minimalistin bin ich bestrebt, mir mein Wohnumfeld nicht mit Krempel zuzustellen. Bei Büchern werde ich gelegentlich schwach, insbesondere bei Raritäten für mein Forschungsfeld. Doch die finde ich aufgrund der Nische meist im Internet, ganz oft über Zufälle oder Empfehlungen. Antiquariate aus ganz Europa waren vertreten, teilweise mit faszinierenden, kostbaren Exemplaren, vor allem im Kunstbereich. Ein Antiquar von der Insel Rügen erklärte mir die Herausforderungen seiner Branche: wenig Lagerplatz und die ständige Suche nach passender Kundschaft. Würde ich mich für „Polizeispitzeleien und Ausnahmegesetze“ aus den Jahren 1878 bis 1910, für die „Geschichte der deutschen Bäcker- und Konditorenbewegung“ oder Streiks von Hafen- und Straßenarbeitern Ende des 19. Jahrhunderts interessieren, wäre ich fündig geworden. Spannend, dass der Paragraph 218 und der „Klimawechsel“ auch vor 100 Jahren in Zeitschriften diskutiert wurden.
Die Faszination von Flohmärkten hat sicher viele Gründe. Neben der Suche nach Schnäppchen für bestimmte Sammelgebiete, dem Aufspüren skurriler Dinge, dem Fachsimpeln über die Vergangenheit und jeder Menge Spaß ist sicher alles dabei. Meine Entdeckung des Tages war ein weibliches Skelett. Für 300 Euro hätte ich das voll intakte anatomische Modell haben können. Es stammt laut Händler übrigens aus einer aufgelösten orthopädischen Praxis im Land Brandenburg. Da ich es nicht brauche, freut sich wahrscheinlich eine angehende Physiotherapeutin über den Erwerb. Und wieder schließt sich der Kreis zur interprofessionellen Zusammenarbeit …
Aufmacherfoto: Runware.ai (KI)
Fotos (6): Dagmar Möbius