Heute vor 30 Jahren erschien ein Artikel unter der Überschrift „Schuß ins Knie“ – ja, damals wurde in „Der SPIEGEL“ so geschrieben. Wann ich den Beitrag erstmals las, weiß ich nicht mehr genau. Er fixte mich an, so sehr, dass ich seit vielen Jahren zur Thematik recherchiere.
Über vieles, was in der DDR an der Tagesordnung war, wächst langsam Gras und nicht wenige Menschen sind froh darüber. Vor allem die, die fürchten, dass unbekanntes Unrecht doch ans Licht kommt. Und davon gibt es trotz umfangreicher Forschungen noch einiges. In den letzten Jahren wird mir immer mehr bewusst, was es bedeutet, eine Zeitzeugin zu sein. Dinge, erlebt zu haben, von denen nur die bedeutendsten in den Geschichtsbüchern stehen. Fragen zu stellen, die nur stellen kann, wer im Osten gelebt hat. Für die Antworten interessiert sich der sogenannte Mainstream nicht oft. Aber das ist nicht entscheidend. Entscheidend ist die Suche nach der Wahrheit. Und die dauert. Nach Sekt dürfte Betroffenen nicht zumute sein.
Das war die SPIEGEL-Titelseite vom 28. Juni 1992.
Unverhoffte Volltreffer im Archiv
Während hier auf der Website schon wieder zwei Monate kein Beitrag erschien, dafür auf anderen Kanälen, stelle ich Anträge auf Einsicht und Schutzfristverkürzungen, arbeite ich mich durch Akten, verbringe Tage im Archiv und lese. Je mehr ich lese, desto mehr Fragen habe ich. Zusammenhänge fehlen, wichtige Zeitbezüge. Fakten. Personen. Und dann, wenn ich mich frage, warum ich mir das eigentlich jahrelang antue – lande ich im Archivgut unverhofft einen Volltreffer. So ist es gerade geschehen. Ein Glück angesichts der mühsamen Arbeit, die sich besser nicht in Euro umrechnen lassen sollte, und natürlich weitergeht.
Morgens im Archiv.
Kaum seichte Unterhaltung
Das oben erwähnte Beispiel über den Einsatz des umstrittenen Knorpelschutzmittels Arteparon in der DDR ist nicht meine einzige Langzeitrecherche. Manche ruhen monatelang, weil es nichts Neues gibt, weil Behörden mauern, weil sich niemand erinnern will oder weil jemand (noch) nicht sprechen kann. Allen Themen gemeinsam ist, dass sie nicht zum seichten Unterhaltungsstoff taugen, einige eher zum Krimi. Politisch motivierte Zwangsadoption, klinische Auftragsprüfungen im Auftrag westdeutscher Pharmafirmen in der DDR, nicht anerkannte DDR-Studienabschlüsse, auch Schicksale der NS-Zeit. An letzterem sehe ich, wie schwierig es ist, Sachverhalte aufzuklären, zu denen niemand mehr etwas sagen kann. Trotzdem dürfen sie nicht vergessen werden.
Garten der Farben im Machandeltal.
Wer sucht, der findet
Wie ich das aushalte, werde ich manchmal gefragt. Meine Themen sind selbst gewählt. Zum einen schreibe ich auch über weniger Aufreibendes: über mutige Gründer*innen, konstruktive Ideen oder hoffnungsvolle Entdeckungen der Wissenschaft. Zum anderen suche ich den Ausgleich, in der Natur, mit Musik, mit Freunden. Das kann durchaus auch mal an einem – bis dahin – geheimen Ort sein, wie im ominösen Machandeltal. Enthüllungen darüber wird man von mir nicht lesen. Das ist auch nicht nötig. Wer sucht, der findet.
Fotos und Screenshot: Dagmar Möbius
[…] ein. Dies könnte den sinnvollen Nebeneffekt haben, dass sich ehemals Involvierte heute mit den Folgen für einst Betroffene auseinandersetzen könnten. Auch (Sprechstunden-?)Schwestern waren an Pharma-Tests direkt und […]
Liebe Frau Möbius,
ich bin traurig, da sie wissen, dass ich in der Sache um Arteparon einen wichtigen Beitrag leisten könnte, Sie jedoch bisher kein Interesse daran zeigen. Sie vertrösten mich nun schon viele Jahre und halten mich hin. Was Sie da kommentieren enttäuscht mich sehr.
Mit freundlichem Gruß
Sonja Hermsdorf
Liebe Frau Hermsdorf,
ich verstehe Ihre Enttäuschung. Leider liegt ihr offenbar ein Missverständnis zugrunde. Ich bin Journalistin, keine Politikerin. Ich berichte (auch) über Missstände, verfolge bestimmte Thematiken jahrelang (auch zu Arteparon) und berichte erneut, wenn es Neues gibt. Meine Aufgabe ist nicht, den eventuellen Kampf Betroffener auszufechten. Wenn ich anbiete, Menschen zusammenzuführen, damit sie sich gemeinsam engagieren, geht das über meine Tätigkeit als Journalistin hinaus. Medienberichte sind sinnvoll, wenn viele Menschen von einem Sachverhalt betroffen sind. Außer Ihnen hatte bisher keine*r der Arteparon-Patient*innen, die sich an mich wendeten, Interesse, öffentlich sichtbar zu werden oder sich an aktuell tätige Forschende zu wenden. Bei neuen Gesichtspunkten werde ich wieder berichten. Versprochen.
Viele Grüße, Dagmar Möbius