Ausgebremst

Vor drei Monaten schaffte ich mein Auto ab. Mit Bahn und Autos auf Zeit wollte ich klimafreundlicher unterwegs sein. So der Plan. Mit der Unflexibilität von Flinkster, dem Carsharing-Angebot der Deutschen Bahn und nach eigenen Angaben Vorreiter in puncto Carsharing, hatte ich nicht gerechnet. Dort kann ich nicht Kundin werden, weil ich mehr als einen Vornamen habe. Sommerloch-Gag? Leider nein.

Willkommen in der Realität

Dass die Bahn Verspätung hat, gar nicht fährt oder Schienenersatzverkehr ist – geschenkt. Nichts Neues. Ich bin Optimistin: die meiste Zeit läuft’s. Doch ich muss auch im ländlichen Raum außerhalb üblicher Bürozeiten mobil sein, dort wo die Bahn keinen Anschluss hat, der öffentliche Nahverkehr maximal ausgedünnt ist und spontan nicht mal ein Taxi zu bekommen ist. Dafür ist Carsharing eine ideale Alternative. Der Autovermieter meines Vertrauens hat die Corona-Pandemie leider nicht überstanden und ist dauerhaft geschlossen. Seit Monaten wird ein Nachmieter für das kleine Büro in zentraler Lage gesucht. Bisher vergeblich.

Flächengrößter Carsharing-Anbieter, aber …

Anbieter von Leihfahrzeugen sind vor allem in Großstädten präsent. Also dort, wo der öffentliche Nahverkehr in der Regel sogar nachts funktioniert. Warum eigentlich nicht im Umland, wo es viel dringender ist? Rechnet sich nicht? Obwohl es in meiner Nähe keinen Carsharing-Anbieter gibt, kann ich mehrere Standorte mit der S-Bahn erreichen. Das ist umständlicher als mir vorschwebte, aber besser als nichts. Privates Autoteilen reizte mich wenig. Ich entschied mich nach einiger Recherche für Flinkster. Der nach eigener Aussage flächengrößte Carsharing-Service Deutschlands kann durch Kooperation mit 30 Partnern mehr als 4.500 Fahrzeuge in rund 400 Städten und Kommunen anbieten, hieß es in einer Mitteilung vom November 2021. Und: Stiftung Warentest kürte Flinkster 2010 und 2020 zum Carsharing-Testsieger.

… Nutzung soll so einfach und intuitiv wie möglich sein

Das war einer der Beweggründe der Betreiberfirma Deutsche Bahn Connect GmbH, als 2021 eine neue Carsharing-Software angekündigt wurde. Zitat: „… denn die Mobilitätswende gelingt nur, wenn wir Menschen ermöglichen, auch ohne eigenes Auto auszukommen.“ Seit der letzten Neuigkeit von 2021 erschien bis heute keine aktuellere Meldung auf der Firmen-Website.

Die Anmeldung bei Flinkster funktioniert tatsächlich schnell und unkompliziert. Man gibt seine persönlichen Daten ein, wählt das gewünschte Carsharing-Modell und seinen favorisierten Standort aus, bekommt einen Link per Mail und muss seinen Führerschein validieren. Bis hierhin alles einfach. Wer sich schon einmal über PostIdent legitimiert hat, weiß, wie es funktioniert. Oder wie es funktionieren sollte. Dass es Probleme mit meiner Validierung geben könnte, wäre mir im Traum nicht eingefallen.

Der Validierungsservice

Halten Sie Ihren Führerschein in die Kamera, Front, Rückseite. 
Alles in Ordnung. Nun den Personalausweis. 

Der Name stimmt nicht mit Ihrer Anmeldung überein.

Wie bitte? Das ist mein Vorname. 

Aber auf Ihrem Ausweis steht ein anderer Name.

Viele Leute haben mehrere Vornamen. Ich habe meinen Rufnamen angegeben,
der in jedem Dokument von mir steht.

Sie müssen sich mit dem ersten Namen auf Ihrem Personalausweis bei 
Flinkster anmelden.

Aber das ist nicht mein Rufname. 

Klick.

Schwarzer Bildschirm. Gespräch von der Gegenseite beendet. Ohne Vorwarnung.

Ich bin verwirrt. Technische Störung? Von meiner Seite nicht.

Die Muttersprache der Frau, die meine Validierung durchführen sollte, war nicht Deutsch. Ich würde das nicht erwähnen, wenn es hier nicht relevant wäre. Hat sie mich nicht verstanden?

Die Antwort kommt keine Minute später per Mail:

Die Prüfung Ihres Führerscheins bzw. Ihrer Identitätsdokumente hat 
leider nicht zum gewünschten Ergebnis geführt. Daher können wir im 
Moment keinen Vertrag mit Ihnen abschließen und müssen Ihr Kundenkonto 
wieder kündigen. Zum Schutz Ihrer Daten wurde Ihre Anmeldung vollständig
storniert. 

Selbstverständlich können Sie sich jederzeit erneut online anmelden.

Die Ablehnung kann verschiedene Gründe haben. Zum Beispiel ist eines 
Ihrer Dokumente wie Führerschein oder Personalausweis nicht mehr gültig
gewesen oder die Einträge sind voneinander abgewichen. Ebenso kann 
eine nicht autorisierte Führerscheinklasse daran schuld sein.

Unser Tipp: Prüfen Sie Ihre Dokumente und versuchen Sie es nach 
Registrierung innerhalb von 28 Tagen erneut.

So läuft das Beschwerdemanagement

Meine Dokumente sind gültig und ich heiße, wie ich heiße. Ich möchte auch keine Rakete ausleihen, sondern gelegentlich ein Auto. Umgehend sende ich eine E-Mail, in der ich meine Verwunderung ausdrücke. Ebenso, dass ich das Vorgehen für unprofessionell halte. Ich frage nach einer alternativen Validierungsmöglichkeit. Es folgt eine automatisierte Antwort vom Flinkster Kundenservice mit Sitz in 06003 Halle (Saale), in Deutsch und Englisch:

Sehr geehrte Flinkster-Kundin,
sehr geehrter Flinkster-Kunde,

vielen Dank für Ihre E-Mail mit dem Betreff "AW: Ihre Anmeldung bei [...]".

Bitte haben Sie Verständnis, dass es bei der Bearbeitung derzeit zu höheren Wartezeiten kommen kann.
 
Sehr gerne können Sie auch unseren SelfService auf www.flinkster.de unter dem Menüpunkt Kontakt nutzen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Flinkster-Team

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Dear Flinkster-customer,

Thank you very much for your e-mail with the subject "AW: Ihre Anmeldung bei [...]"

If you have any questions about Flinkster or you need further information, you can also take a look at our Self Service on our website www.flinkster.de.

Kind regards

Your Flinkster-Team

Es vergehen 20 Tage bis zur nächsten Mail.

Betreff: Re: AW: Ihre Anmeldung bei Flinkster Carsharing [Ticket#873286815]:

[sic]

Sehr geehrter Herr Möbius

vielen Dank für Ihre Mitteilung und entschuldigen Sie bitte die lange Antwortzeit.

Leider bieten wir keine alternative für die Onlineverifikation an.  

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Flinkster-Team 

Hausaufgaben für den Carsharing-Vorreiter

Ich bin eine Frau – mit zwei eindeutig weiblichen Vornamen und mache kein Hehl daraus: Ich bin nicht mehr verwundert – ich bin bedient. Die Flinkster-App hatte ich sofort nach dem unfreiwilligen Kontaktabbruch gelöscht. Flinkster und ich werden keinen zweiten Versuch haben.

In der Hoffnung, dass sich im Unternehmen vielleicht doch jemand für Kundenfreundlichkeit interessiert, Folgendes:

Drei Viertel der Bevölkerung hat nur einen Vornamen. Aber ungefähr ein Viertel hat zwei oder mehr Vornamen. Nicht immer muss der erste im Personaldokument stehende Name der Rufname sein. Da der Rufname dort nicht unterstrichen ist, ist eine eindeutige Aussage für Fremde nicht möglich. Dass eine Institution nur einen erstaufgeführten Namen für Verträge akzeptiert, geht an der Lebensrealität vorbei und lädt geradezu zu Identitätsdiebstahl ein.

Mit der Validierung von Dokumenten beauftragte Personen, die offensichtlich keine Muttersprachler sind, sollten so geschult sein, dass sie dieser Aufgabe gewachsen sind. Ich hoffe sehr, dass das Personal nicht prekär beschäftigt ist und menschenwürdige Arbeitsbedingungen hat.

So weit sind wir von einer Mobilitätswende entfernt

Wenn sich die Deutsche Bahn-Tochter Flinkster großmundig für die Mobilitätswende einsetzt, dann doch bitte mit echtem Kundenservice.

Wie weit Deutschland in puncto Carsharing davon entfernt ist, zeigt auch ein nüchterner Blick auf die Zahlen.

Es gibt in Deutschland 10.789 Gemeinden (Stand 31.12.2021).

Wenn in 750 Orten Carsharing-Angebote bestehen, heißt das, dass nur knapp 7 % davon profitieren.

Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland wohnt nicht in Großstädten oder in Flughafennähe.

Wie lange ich mein Autofrei-Experiment durchhalte, ist keine Frage des guten Willens, sondern der realen Gegebenheiten.

Screenshots: DM

Ein Gedanke zu „Ausgebremst

  1. Hallo Frau Moebius,
    ich habe, ähm hatte, auch seit 2020 eine Flinkster-Card.
    Also extra bestellt, eine haptische “Card”. Weil ich kein Smartphone/Bluetooth habe und lieber mit Karte (an Windschutzscheibe) Auto geöffnet habe.
    Das musste man extra bestellen. Ebenso wie die “Vollkasko”.
    Reserviert habe ich immer normal uber PC (ohne Kamera!).
    Nun sollte auch ich mich (wieder) validieren.
    Habe kein Smartphone/Cam. Früher ging das am DB-Schalter (macht ja auch Sinn).
    Das geht nicht mehr.
    Auf Mail-Nachfrage: Nein NUR NOCH ONLINE(VIEDEO).
    Die DB hat mir gekündigt…. (weil ‘nicht validiert..’)
    Warum ich wohl eine Card hatte…
    Eine Bitte an Sie: Leiten Sie eine Beschwerde weiter. Wegen Diskriminierung.
    Es muss möglich sein, sich Vor-Ort zu “validieren”. Insbesondere bei Bahn und deren Schalter- “Beamten”.
    Andere Car-Anbieter können das auch. Stadtwerke etc.
    (Hintergrund: Die Validierung ist notwendig, weil Anbieter (immer vorrangig) haften. Hier muss der Gesetzgeber nachbessern. Denn mit der “Validierung ist die Haftung nich ausgeschlossen sondern nur nicht fahrlässig vorsätzlich versäumt.)

    PS: Ab 2024 werde ich das wahrscheinlich verteuerte D-Ticket auch wieder kündigen, und mir Auto kaufen oder auswandern 😉

    Gruss

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