Mittelgut oder sonderbar?

 

Und noch einmal Theodor Fontane. Schon seit März stand die Leitausstellung fontane.200/Autor in Neuruppin auf meinem Plan. Wie stellt man Wörter und Texte spannend aus? Vom Bahnhof Rheinsberger Tor (in 30 bis 60 Minuten erreichbar mit dem RE 6 aus Berlin) ist das Museum nur wenige Minuten Fußweg entfernt. Vorbei an Fontanes Geburtshaus, der Löwen-Apotheke, säumen hölzerne Tafeln den Weg durch die Stadt. Auf ihnen sind so genannte „Klexchen“ verewigt. Wortschöpfungen von Fontane, über die man schmunzeln oder sich fragen kann, was sie wohl bedeuten.

Im Museumsfoyer sind Besuchende eingeladen, sich je einen gelben und einen schwarzen Button zu wählen. Welcher Fontane-Mensch ist man oder möchte man sein? Eulengesichtsmensch, Gewohnheitsmensch oder Malermensch? Kombiniert mit einem Adjektiv werden die unterschiedlichsten Typen kreiert: Mittelguter Verstandesmensch oder sonderbarer Ausnahmemensch? Das darf Jede/r selbst entscheiden und die Plaketten nach dem Besuch mit nach Hause nehmen.

Für Menschen, die mit der Sprache arbeiten, ist diese bis zu Fontanes 200. Geburtstag am 30. Dezember 2019 zu besichtigende Exposition ein wahres Füllhorn. „Vielleicht. Mutmaßlich. Natürlich. Aber.“ Biografisches ist nicht Leitlinie des Rundganges. Dafür viel Schreibhandwerkliches. Über 60 originale Notizbücher des Dichters zum Beispiel. Herangehensweisen. Techniken. Dafür muss man Fontane nicht gelesen haben. Man wird es nach dem Besuch aber wollen.

Mit Wörtern soll dem schreibenden Apotheker gratuliert werden. Manche Begriffe glaubt man schon gehört oder gelesen zu haben. Andere dagegen scheinen neu. Auf jeden Fall sind sie ein Zeugnis für die Vielfalt der Sprache. Und zeitlos in einer Ära, in der selbst wir Journalisten gelegentlich schreiben, dass etwas „toll“, „cool“ oder „eindrucksvoll“ war. Dabei bietet Sprache so viel Konkreteres!

Ängstlichkeitsprovinz, Bewegungsminimum, Dunkelstunde, Einbahnstraßenpersonenhülle, Gesammt-body, Nonchalance, Pünktlichkeitspedant, schiefgewickelter Weltweiser, Totalkenntnis, Unglücks-Ei, Vortrefflichkeitsschablone. Oder die charmante „Klugschmuserei“. Auch schön: „Wir lassen dies ununtersucht.“

An einer Wandtafel steht: „‚es ist Alles nichts‘. Freilich kann man diesen Satz unter Alles schreiben.“ (1891)

Muss man aber nicht. Vor oder in der Letterndruckwerkstatt lassen sich eigene Texte mixen. Die Zutaten: Stempel mit Worten wie „wir“, „glauben“, „glücklich“, „neu“, Mensch“ und weiteren.

Besucher dürfen Lob und Kritik in eigenen Wortkreationen an einer Pinnwand verewigen: „Gelbwahnschädigungssyndrom“ oder „#Hashtagwahnsinn“ ist da zu lesen. Spätestens dann empfiehlt sich der Gang in den Museumsgarten und in den benachbarten Tempelgarten, in dem Fontanes Pflanzen gezeigt werden.

Mittelgut oder sonderbar? Für mich weder noch. Dafür informativ, anregend und noch immer nicht genug. In Potsdam wartet im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte die Fontane-Ausstellung „Bilder und Geschichten“.

Bildstrecke: ©Dagmar Möbius

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