Verkohlt

Neulich war ich in der Lausitz. Ich flüchtete vor dem Lärm der Großstadt, einen Auftrag im Gepäck. Die Recherche endete jedoch völlig anders als geplant. Mit einem aufregenden Nebenschauplatz.

Ich kann nicht behaupten, eine Spezialistin für Immobilienprosa zu sein, doch einige Erlebnisse mit selbsternannten Heilsbringern der Wohnindustrie liegen auch in meiner Anekdotenkiste. Auf eine weitere war ich nicht vorbereitet. Ich habe mich entschlossen, sie in anonymisierter, verkürzter Version zu erzählen, da schutzwürdige Belange Dritter zu beachten sind. Trigger-Warnung: Der Text enthält Spuren von Ironie und Sarkasmus.

Ökologisch und historisch wertvolles Kulturgut

Eine meiner Freundinnen schwärmt für Umgebindehäuser. Diese historischen Fachwerkgebäude sind teilweise mehrere Jahrhunderte alt und stehen unter Denkmalschutz. Bundesweit stehen mehr als zweieinhalb Millionen Fachwerkgebäude. Deren Hauptbaustoff ist Holz. 1990 schlossen sich mehr als 100 Fachwerkstädte in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen unter dem Motto „Fachwerk verbindet“ zur Deutschen Fachwerkstraße zusammen, um das Kulturgut zu erhalten und zu präsentieren. Jedes Jahr im Mai findet der Tag des Umgebindehauses statt.

Typisches Umgebindehaus an der Deutschen Fachwerkstraße.

Die charakteristischen Eigenschaften des Holzes, klimatische Bedingungen
und die Kunst der Zimmerleute sind ausschlaggebend für die Dimensionen
und Formen der Fachwerkhäuser. Fachwerkgefüge sind eine holzsparende 
Skelettbauweise mit allein tragenden Hölzern und nicht tragenden 
Ausfachungen aus Lehm oder Ziegeln: eine höchst ökologische, 
umweltschonende und ästhetische Bauweise. 
Quelle: Fachwerk in Deutschland

 Meine Freundin hatte sogar einen Lehmputzkurs besucht. Danach schloss sie das Kapitel „Umgebindehaus“ für sich ab. Viel Arbeit. Potenzial zum Millionengrab. Haken dran. Doch ihr Interesse blieb. Als sich die Möglichkeit bot, ein günstiges zum Verkauf stehendes Objekt zu besichtigen, war sie sofort Feuer und Flamme. Ich benutze diese Floskel absichtlich, weil ich aus gutem Grund künftig sehr sparsam mit ihr umgehen werde. Das Haus sei sanierungsbedürftig. Klar. Irgendwelche Leichen im Keller? Der Verkäufer verneinte. Na ja, einen kleinen Schwelbrand habe es gegeben. Ein Exposé wolle er zusammenstellen. Bis zur Besichtigung blieben wenige Schneefotos des Hauses. „Ziehen Sie alte Klamotten an“, riet er am Vorabend telefonisch.

Dachschaden und ein verräterischer Dialekt

In Gummistiefeln begrüßte der Verkäufer die Interessierten. Eine Werkzeugkiste stand vor dem Haus. Den Dachschaden entdeckten wir sofort. Für zerborstene Fenster gab es noch keine Erklärung. Eine zusammengeklappte Leiter lehnte schüchtern an der Fassade. „Sie sind aber nicht von hier“, verpatzte meine Freundin die Begrüßung. Der Mann behielt die Fassung und erwiderte, er sei immerhin schon 30 Jahre in der Gegend. Sein süddeutscher Dialekt hatte das unbeschadet überstanden. „Kommen Sie rein in die gute Stube“, lud er ein. Eine spezielle Art von Humor muss man ihm lassen.

Keine Treppe und versengtes Inventar

Blick ins Brandhaus

Im Flur fühlte ich mich in einen Gruselfilm versetzt. Boden und Wände waren rußbedeckt. Die Treppe zum Obergeschoss fehlte komplett, von der Decke bammelten verkohlte Balken. Schwelbrand? Niemals! Tapfer stiegen wir über Schuttberge am Boden durch alle Stuben. Das Bad war versengt. Die Küche war schwarz. Das Schlafzimmer verkohlt, das Wohnzimmer als solches nur zu erahnen. Auf einem Tisch standen spinnenumwebte Kompottgläser. Meine Freundin ergriff die Flucht. „Kommt raus“, rief sie. „Ihr habt keinen Helm auf.“ Das Haus war verlassen, aber nicht beräumt. „Wo ist der Brand eigentlich ausgebrochen?“, fragte ich. In dem Moment eine absolut sinnentleerte Frage. Der Verkäufer drehte sich weg. Das wisse er nicht genau.

Der fragwürdige Sanierungstipp

Mit einem Bürstenschleifgerät ließe sich der Brandschaden schnell beheben und das Häuschen schick machen. Ich könne eine super Story darüber schreiben. Der meinte das ernst. Jetzt verließ unser mitbesichtigender Zimmermann mit Denkmalsanierungserfahrung das Haus. Wortlos. Die Leiter habe er für ihn mitgebracht, rief der Verkäufer hinterher. Ob er sich noch den Dachstuhl anschauen wolle? „Welchen Dachstuhl?“, fragte unser Holzprofi. Um eilig nachzusetzen: „Ich bin doch nicht lebensmüde.“ Im Freien fasste er sich erstaunlich schnell wieder und fragte nach einer Flurkarte. Etwas widerwillig stapfte der Verkäufer zum Auto, zeigte dann eine dünne Mappe. Er könne das Exposé nicht aus der Hand geben. „Es war teuer.“ Beherzt griff unser begleitender Zimmermann zu und vertiefte sich mit Kennerblick. Er blätterte, las und – sagte nichts mehr.

Fassadenkosmetik „nein, danke“

Bevor sich der Verkäufer den nächsten Interessenten zuwandte, gab er uns den Kontakt zur zuständigen Denkmalbehörde und erklärte, dass für weitere Auskünfte eine Kaufabsichtserklärung unabdingbar sei. Meine Freundin wartete am Auto und wollte schnellstens weg. „Das ist doch ein schlechter Witz“, sagte sie. „Für jede Schrottimmobilie, die zwangsversteigert wird, bekommst du ein Gutachten, damit du weißt, worauf du dich einlässt.“ Unser Holzexperte, übrigens mit praktischer Feuerwehrerfahrung, formulierte es sachlicher: „Hier ist nichts mehr zu sanieren, allenfalls die Fassade. Ob das hier ein Statiker gesehen hat, bezweifle ich. So wie die Hütte hier steht, müsste der Denkmalstatus erloschen sein. Es liefe auf einen Neubau hinaus. Kann man machen. Aber was dieser Typ erzählt, kränkt mich in meiner Zimmermannsehre.“

Fenster eines sanierungsbedürftigen Umgebindehauses aus dem 19. Jahrhundert.

Den Tatbestand realisiert

Den Rest des Tages wanderten wir. Wir mussten den Brandgeruch aus der Nase bekommen. Herrliche Ruhe. Tolle Landschaft. Gute Luft. Als sich die Erregung gelegt hatte, zitierte der Zimmermann Details aus dem unvollständigen Geheimexposé. Bereits zwei Jahre vor dem angeblichen Schwelbrand war das Objekt getaxt worden, auf eine Summe, die einem dreistöckigen, vollständig sanierten Umgebindehaus entsprechen würde. Jetzt lag der Wert bei null Euro. Allein die Beräumungskosten des Grundstücks würden eine fünfstellige Summe bedeuten. Von der Asbestentsorgung ganz zu schweigen. Es passte einiges nicht. Eine kurze Nachrecherche bestätigte unseren Verdacht. Feuerwehrfotos zeigten ein lichterloh brennendes Haus. Von einer Brandserie im Ort war zu lesen. Der Bewohner ein Feuerteufel? Die Polizei ermittelte. Ich realisierte, dass wir ein verkohltes Messiehaus besichtigt hatten.

Denkmale erhalten – aber bitte seriös

Die Sache war tragisch, aber sie ging mich nichts an. Bevor auch ich einen Haken an die Geschichte machen konnte, telefonierte ich mit der Denkmalschutzbehörde. Aus purem Interesse an der Materie. Ich war die Erste seit zwei Jahren in dieser Causa, die sich meldete. Das Haus wartete also schon seit Längerem auf Rettende. Ich fragte, wann die Fachleute das Gebäude zuletzt gesehen hatten. Vor der Ersttaxierung oder nach dem Brand? Die Restauratorin stellte eine Gegenfrage: „Hat der Verkäufer denn das Haus immer noch nicht beräumt?“

Wir hatten ein gutes Gespräch. Ich bekam die Auflagen erklärt und warum der Denkmalerhalt für die Behörde so wichtig ist. Sei es so wie erlebt, könne der Denkmalschutz tatsächlich erlöschen. Dann dürfe neu gebaut werden, mit Erhalt der typischen Fassaden. Man müsse auf jeden Fall begutachten.

Das Thema Umgebindehaus ist für unsere Freundin erledigt. Mögen sich Einheimische mit Expertise und nötigem Finanzpolster finden, die sanierungswürdige Häuser retten. Unseriöse Makler und Spekulanten brauche die Lausitz nicht.

Fotos: Dagmar Möbius

In Text und Fotos wird absichtlich auf Angaben verzichtet, die zu einer eindeutigen Identifizierung führen können.

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