Dieser Beginn eines aktuellen Kommentars stammt nicht von mir, sondern von Tarek Barkouni. Der junge Kollege berichtet für Krautreporter aus Leipzig über Ostdeutschland. Weil ich den Text für unbedingt empfehlenswert halte, teile ich ihn hier. Der Beitrag ist ab heute für eine Woche auch für Nichtmitglieder von Krautreporter freigeschaltet.
Worum geht es? Um Politiker*innen-Vergleiche der Corona-Krise mit dem Zweiten Weltkrieg. Tarek Barkouni hat sein Abitur in Westdeutschland abgelegt. Was er in der Schule über die Zeit von 1989/90 hörte, ist dürftig. Doch er hört zu, stellt empathische wie unbequeme Fragen und ordnet Geschehnisse ein. Das macht einen guten Journalisten aus.
Zitatauswahl:
„Die bittere Pointe der aktuellen Geschichtsvergessenheit ist, dass die Wendejahre wertvolle Lehren bereithalten, um auch diese Krise, die Corona-Krise, zu meistern. Warum nehmen wir nicht das, was wir in der nun über 30 Jahre andauernden Krise gelernt haben, und wenden es an?“
Ich schrieb an dieser Stelle bereits über meine Meinung zum Krisenbewältigungsverständnis vieler Ostdeutscher. Aber ich bin bei dieser Thematik auch Zeitzeugin – das öffnet mir in Ostdeutschland viele Türen. Für Fachthemen ist dieser Aspekt unerheblich, denn dann unterscheide ich nicht nach Herkunft meiner Gesprächspartner*innen, sondern nach Kompetenz. Wer ostdeutsche Befindlichkeiten wirklich verstehen will, muss zuhören, annehmen und akzeptieren. Übergestülpt wurde den Menschen dort in den letzten 30 Jahren schon jede Menge.
„Ostdeutschland hütet einen Erfahrungsschatz, den der Westen nicht haben will“, stellt Tarek Barkouni fest.
Am Beispiel der DDR-Polikliniken überlegt er, ob es nicht an der Zeit wäre, „den ‚kolonialen Gestus‘ von damals zu überprüfen und sich anzuschauen, was man übernehmen könnte.“ Dem jungen Kollegen kann man nun schlecht Nostalgie vorwerfen. Denn dass der Osten in der Corona-Pandemie nach wie vor geringere Fallzahlen aufweist, hat auch mit gesundheitspolitischen Entscheidungen zu tun, denen von Westdeutschen ein DDR-Farbanstrich vorgeworfen wird, obwohl sie fachlich erprobt, begründet und sinnvoll sind. Aber das ist nur ein Aspekt eines sehr viel komplexeren Themas.
„Sind Sie aus dem Westen?“, fragte mich kürzlich ein betagter Einheimischer, den ich zufällig auf Recherchetour in der Uckermark traf. „Na gut, dann kann ich offen sprechen“, lachte er verschmitzt und bot mir spontan einen Rundgang über ein nicht öffentlich zugängiges Gelände an. Er opferte Zeit für mich und es machte ihm sichtlich Freude. Ich erfuhr viele historische Begebenheiten, wertvolles Wissen, das verloren ist, wenn es nicht aufgeschrieben wird. An diesem Tag wurde mir einmal mehr bewusst: Ostdeutsche Geschichte ist (nun) auch gesamtdeutsche Geschichte. Sie hat viel mehr zu bieten als vermeintliche Immobilienschnäppchen. Menschen mit Geschichten zum Beispiel. Ich bin dankbar für deren Vertrauen.
Symbolfoto: Dagmar Möbius (8/2019)