In Zeiten von Chats, Messenger-Nachrichten und einer zum großen Teil ins Digitale verlagerten Kommunikation sind Leserbriefe besonders wertvoll. Sie zeigen, dass Beiträge gelesen, gehört oder gesehen werden und sie sind ein Zeichen gelebter Demokratie. Für mich sind sie nicht nur ein Seismograph für sensible Themen, sondern auch ein Vertrauensvorschuss. In den letzten Wochen erreichten mich mehr solcher Reaktionen als sonst.
Bekanntlich arbeite ich gegenwärtig nicht für tagaktuell berichtende Medien. Meine Beiträge erscheinen überwiegend in gedruckten Fachmedien und online. Sie beleuchten Themen, die im schnellen Mediengeschäft oft nicht oder nur verkürzt vorkommen (können). „Umgang mit Radikalisierung in Medizin und Psychotherapie“ war so ein heißes Eisen. Der Klimawandel und seine Auswirkungen auf die psychische Gesundheit sowieso. Auf beide Themen reagierten Leser*innen öffentlich. Kritisch und mit wertvollen, ergänzenden Argumenten. Im ersten Fall wurde eine Diskussion über den hippokratischen Eid ausgelöst, im zweiten Fall schrieb mir ein Wissenschaftler, warum nach seiner Meinung wichtige Fakten zur Erderwärmung nicht öffentlich dargestellt werden und warum Chemiker (meist) unpolitische Menschen sind. Die Ausführungen sollen noch als Leserbrief veröffentlicht werden.
Auch zu länger zurück liegenden Artikeln erhalte ich regelmäßig Post und Anfragen. Kürzlich wieder zu von mir 2015 veröffentlichten Rechercheergebnissen über das in der DDR (testweise?) verabreichte West-Medikament Arteparon, zur Tätigkeit der DDR-Bausoldaten oder zu einer Recherche über eine Immobilie mit nahezu unbekannter NS-Vergangenheit.
Ich freue mich über jede Interaktion und beantworte sie immer persönlich. Manchmal kurz, sehr oft leider mit Termin- oder generellen Absagen verbunden. Viele meiner Themen waren und sind mit aufwändigen Recherchen verbunden. Nicht alle kann ich aus Effizienzgründen unbegrenzt weiterführen. Einige sind beendet, weil die Datenlage aktuell keine neuen Erkenntnisse verspricht, andere ruhen aus Zeitgründen. Das ist für Betroffene und Interessierte gelegentlich schmerzhaft und enttäuschend. Sie verbinden Hoffnung mit journalistischer Tätigkeit. Das ist gut, aber nicht selten übersteigen die Erwartungen die Möglichkeiten einer freiberuflich arbeitenden Journalistin. Dann verweise ich an Medien mit größeren personellen Ressourcen, nachgewiesener Expertise zum jeweiligen Thema und/oder an Investigativ-Teams – jüngst, als ein Leser Rechtsbeugung in Justizkreisen vermutete.
Die „Arteparon“-Recherche ist nicht beendet, ruht jedoch aktuell. Mehrere Betroffene mit vermuteten Langzeitschäden haben mir gegenüber den Wunsch nach überregionaler Vernetzung und Kontakt zu Forschenden geäußert. Das ist gut und wichtig, übersteigt jedoch meine derzeitigen organisatorischen Kapazitäten. Sollte sich ein/e Organisator/in finden, stelle ich die notwendigen Kontakte gern her.
Auf einen häufigen Irrtum möchte ich abschließend hinweisen. Journalist*innen sind der Unabhängigkeit verpflichtet. In der seriösen Berichterstattung werden Tatsachen so dargestellt, dass sich Leser*innen ein eigenes Urteil bilden können. Reporter*innen berichten neutral und beleuchten möglichst mehrere Seiten eines Geschehens. Sie machen sich nicht mit einer Sache gemein, auch nicht mit einer guten. Letzteres wird in der Branche kontinuierlich und kontrovers diskutiert. Für mich stellt sich dazu regelmäßig die Frage der Transparenz. Werden subjektive Beweggründe offengelegt, erfahren Leser*innen, wie Einblicke in bestimmte Ereignisse oder Begebenheiten zustande gekommen sind.
Screenshot: Leserbrief, veröffentlicht im Dresdner Universitätsjournal 19/2019