Gelbe Hefte und null Schlagzeilen

Es ist ruhig auf meinen Blogs. Sehr ruhig. Auch auf meinen social-media-Profilen. Kein digital detox. Eher Pacing. Das bedeutet „Energiemanagement“. Bekannt aus der Therapie von Fatigue und/oder Post Covid. Damit der Fokus auf Lebenswichtigem bleiben kann. Urlaub ist es nicht.

Ich arbeite, auch wenn ich nicht täglich oder wöchentlich etwas poste. Viele meiner Recherchen laufen über lange Zeit und werden erst veröffentlicht, wenn Ergebnisse spruchreif sind. Soweit nichts Neues. Was in letzter Zeit öfter bei mir ankommt, sind Anliegen in schwierigen Lebenslagen. Dann bin ich weniger als Journalistin gefragt, sondern als Vermittlerin, Multiplikatorin oder schlicht Helferin.

Gelbes Heft und Mutterpass

Ein Beispiel war die verzweifelte Suche einer aus der Ukraine geflüchteten und derzeit in Deutschland lebenden Mutter, die für eine anstehende U-Untersuchung ihres Vorschulkindes ein gelbes Untersuchungsheft brauchte, das aber von niemandem bekam, auch nicht von der Arztpraxis, die das Kind untersuchen wollte. Dafür machte ihr das Jobcenter Druck. Warum, konnte und wollte ich aus der Ferne nicht eruieren.

Jedes in Deutschland geborene Kind bekommt in der Geburtsklinik oder von der Hebamme ein vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zur Verfügung gestelltes gelbes Kinderuntersuchungsheft, in dem alle Vorsorgeuntersuchungen dokumentiert werden. Für den Mutterpass gilt das ebenso. Kinder, die nicht in Deutschland geboren wurden, haben demnach kein solches gelbes U-Heft. Behandelnde Arztpraxen erhalten Exemplare wie andere Formulare von ihrer zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Ein Anruf seitens der Praxis oder die Nutzung des digitalen Bestellsystems hätte vermutlich genügt. Doch mir wurde berichtet, dass das Personal zwar sehr engagiert, aber am Limit sei. Das ist glaubhaft, denn seit Jahren warnen Niedergelassene und Praxispersonal vor dem drohenden Zusammenbruch des ambulanten Gesundheitssystems.

Zwei Mega-Baustellen der Gesellschaft

Ich erzähle die Episode, weil sie auf zwei sich verschärfende Probleme im Land hinweist: auf die gefährdete ambulante Gesundheitsversorgung – längst nicht mehr nur im ländlichen Raum – und auf den Umgang mit Migrant*innen und Kriegsflüchtlingen.

Die gute Nachricht: Es kostete nur wenige Minuten, in denen ich Fachleute aus meinem Netzwerk nach Unterstützung fragte. Eine grundsätzliche Problematik bestätigte sich nicht. Nach Ansicht der zuständigen KV handelte es sich offenbar um einen Einzelfall, den ich deshalb nicht für veröffentlichungsrelevant hielt. Eine konkrete Lösung wurde dank eines im Kinderärzteverband engagierten Pädiaters gefunden. Er schickte das Heft kurzfristig zu, sodass der Untersuchungstermin für das Kind gehalten und der ukrainischen Mutter eine große Sorge genommen werden konnte. Hiermit ein öffentlicher Dank an alle Beteiligten: die Mobile MFA, die KV Hessen, an Dr. med. Martin Gunkel.

„Fehler aus der Vorgängerzeit“

Screenshot Linkedin-Post

Aktuell beschäftigt sich der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages mit der prekären Situation der Arztpraxen, wie unter anderem der Verband medizinischer Fachberufe meldete. Gesundheitsminister Karl Lauterbach verwies auf „Fehler aus der Vorgängerzeit“. Das stimmt, denn fehlender ärztlicher Nachwuchs und Fachpersonalmangel im ambulanten Sektor wurden politisch seit Jahrzehnten nicht ernst genommen. Dass Medizinische Fachangestellte erstmals streikten, ist längst kein Warnsignal mehr. Es brennt und die oft prekär bezahlten Kolleg*innen flüchten aus dem Beruf oder brennen aus.

Ich begleite die Debatte journalistisch weiter, auch wenn ich nicht täglich darüber berichten kann. Und ich beschäftige mich derzeit wissenschaftlich damit – auch hier gilt: Ich berichte, sobald es Spruchreifes gilt.

Update zu „Pacing“

Ein Update zu Pacing (deutsch: „Energiemanagement“) verdanke ich Professor Christian Puta vom Lehrstuhl für Sportmedizin und Gesundheitsförderung der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Der Sportwissenschaftler hielt es beim 2. Long Covid-Kongress im November 2023. Angesichts Tausender Menschen im Land, die noch mit Nachwirkungen einer oder mehrerer Corona-Erkrankungen, in manchen Fällen auch nach Impfungen, zu kämpfen haben, muss das verfügbare Wissen mehr verbreitet werden.

Pacing hat das Ziel, mit der körperlichen, kognitiven und emotionalen Energie schonend umzugehen. Das umso mehr, wenn man nicht genau weiß, wie stark man sich belasten kann. Mit Energiemanagement kann man lernen, sich nur so viel anzustrengen, dass man nicht „zusammenklappt“. Diese hier extrem verkürzte Darstellung führe ich an, weil es sinnvoll ist, sich Fachleute zu suchen, die zu Corona-(Folgen) forschen und nach wissenschaftlich belegten Fakten Behandlungsempfehlungen geben können. Zu einer zugrunde liegenden Studie aus Jena geht es hier. Dass Atemregulationstechniken, kurze intervallbasierte körperliche Übungen sowie Yoga und Meditation helfen, Müdigkeit zu verhindern und körperlich aktiv zu bleiben, ist erforscht.

Klassiker wie “Schnee und Erde”

Den Begriff „Pacing“ nutze ich hier als Synonym für mein Energiemanagement. Das Bild einer Batterie ist verständlicher: Ich kann nur über Energie verfügen, die ich noch nicht verbraucht habe. Mein Fokus liegt auf unbedingt zu bewältigenden Aufgaben. (Aktuell) Nicht zwingend notwendige Dinge werden weggelassen … Wichtig ist alles, was der Seele guttut – wie Live-Musik gelegentlich. „Epische Tonkunst“, hat sie ein Fan genannt. „Schnee und Erde“, im Original und in dieser Cover-Version, gehört für mich dazu.

“Affirmation”, gesehen kürzlich auf Recherchereise in Quedlinburg

Aufmacherfoto: Dagmar Möbius

 

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